WHERE ARE THE QUEERS AT?!
Queer in der Weimarer Republik

Ausgewählte Orte aus der Sammlung Peter Plewka

„Wer das Riesengemälde einer Weltstadt, wie Berlin nicht an der Oberfläche haftend, sondern in die Tiefe dringend erfassen will, darf nicht den homosexuellen Einschlag übersehen.“

Hirschfeld, Magnus, Berlins drittes Geschlecht, Berlin/Leipzig 1904, S. 5.

Das Leben queerer Personen, insbesondere queerer Männer, war in der Weimarer Republik politisch vom §175 des Strafgesetzbuches geprägt. Dieser wurde bereits im Kaiserreich eingeführt und stellte sexuellen Kontakt zwischen zwei männlichen Personen unter Strafe. Der Paragraph wurde in den Folgejahren häufig verändert und in der Bundesrepublik erst 1994 endgültig abgeschafft.

Obwohl die Weimarer Republik den §175 übernahm, war die Republikgründung ein Moment der Hoffnung für die queere Bevölkerung. Die festen Normen der Gesellschaft brachen nach dem Krieg auf und die queere Bevölkerung hoffte, davon profitieren zu können. Aus diesem Grund nahm die (organisierte) Vernetzung queerer Personen zu dieser Zeit stark zu. Sie gründeten Vereine und fingen an, sich aktiver für die Anerkennung und Entkriminalisierung von Queerness einzusetzen.

Begriffe wie queer und homosexuell waren zur Zeit der Weimarer Republik nicht geläufig. Stattdessen wurden die Begriffe Urning (für männliche Personen) und Urninde (für weibliche Personen) benutzt. Auch finden sich häufig die Bezeichnungen Freunde und Freundinnen. Wenn in den folgenden Texten von queer gesprochen wird, handelt es sich also nicht um einen Begriff dieser Zeit, sondern einen Begriff aus der Gegenwart. Er wird im Text benutzt, um von der Norm der Zeit abweichende Sexualität und Geschlechtsidentitäten zu beschreiben. Außerdem ist der Begriff mit politischen Kämpfen gegen die binäre und heterosexuelle Norm verbunden.

Im Folgenden werden verschiedene Orte queeren Lebens in Kreuzberg betrachtet. Durch die Forschung ist bekannt, dass es hier viele Treffpunkte, Vereinssitze und Verlage queerer Menschen gegeben hat und dass auch Ansichtskarten existieren, die queeres Leben abbilden. Doch in der Ansichtskartensammlung von Peter Plewka finden sich kaum Abbildungen dazu. Um einen Umgang mit dieser Leerstelle zu finden und den wenigen Spuren nachzugehen, die in der Sammlung zu entdecken sind, werden auch Ansichtskarten herangezogen, die die Umgebung dieser Orte zeigen, nicht aber die Orte selbst.          

„Kampfeslust muß eure Herzen erfüllen und aus euren Augen leuchten.“ - Vereine und Organisationen

Als die Weimarer Republik sich etablierte, gründeten queere Personen zahlreiche Vereine und Zusammenschlüsse. Ab 1919 entstanden in vielen deutschen Städten sogenannte Freundschaftsbünde, in denen sich queere Personen trafen. Hierbei ging es ihnen um Unterhaltung und Vernetzung, aber auch um politischen Aktivismus. In den Folgejahren gegründete Vereine nannten als Gründe für ihre Aktivität häufig die enttäuschten Hoffnungen auf die schnelle Beseitigung des §175, der sexuelle Kontakte zwischen Männern unter Strafe stellte.

Sicht auf das Planufer, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 3733v. Am Planufer traf sich für mehrere Jahre die queere Vereinigung „Deutscher Freundschafts-Verband“.
Sicht auf das Planufer, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 3733v. Am Planufer traf sich für mehrere Jahre die queere Vereinigung „Deutscher Freundschafts-Verband“.
DEUTSCHER FREUNDSCHAFTS-VERBAND

In der Alexandrinenstraße 8 saß der Karl-Schultz-Verlag, der dem „Deutschen Freundschafts-Verband“ (DFV) Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. Beim DFV handelte es sich ab spätestens 1919 um die Dachorganisation vieler queerer Vereine deutschlandweit. Das Hauptziel des DFV war die „Befreiung aller Invertierter von gesetzlicher und gesellschaftlicher Verfehmung“ – eine Forderung, die bewusst weiter gefasst wurde als „nur die Abschaffung des §175. In ihren Statuten hieß es weiter: „Eine Organisation, die ernst genommen werden will, hat nicht die Aufgabe für ‚Nacktkultur‘ zu wirken (das verbieten schon taktische Erwägungen). Sie muss bestrebt sein, möglichst alle gutgearteten Invertierten zu erfassen und ihnen Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen (…)“. In der Druckerei des Verlages druckten sie ihre Zeitschrift „Die Freundschaft. Im Mai 1920 zog der Verband ins Planufer 5 um, wo ein queeres Lokal seine neue Heimat wurde.

Innenansicht der Central-Festsäle, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0090v. In den Central-Festsälen (Alte Jakobstraße 32) tagte der Bund für Menschenrecht. Außerdem wurden hier zahlreiche Urningbälle veranstaltet.
Innenansicht der Central-Festsäle, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0090v. In den Central-Festsälen (Alte Jakobstraße 32) tagte der Bund für Menschenrecht. Außerdem wurden hier zahlreiche Urningbälle veranstaltet.
Ansicht der Ecke Kommandantenstraße/Alte Jakobstraße, 1925, o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0101v. In der Alten Jakobstraße 89, in der Nähe des abgebildeten Ansichtskartenmotivs, tagte der Berliner Freundschaftsbund vor seinem Zusammenschluss mit dem Verein der Freunde und Freundinnen und seiner Umbenennung in Bund für Menschenrecht. Außerdem befand sich auf der Straße eine Vielzahl queerer Bars und Kneipen.
Ansicht der Ecke Kommandantenstraße/Alte Jakobstraße, 1925, o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0101v. In der Alten Jakobstraße 89, in der Nähe des abgebildeten Ansichtskartenmotivs, tagte der Berliner Freundschaftsbund vor seinem Zusammenschluss mit dem Verein der Freunde und Freundinnen und seiner Umbenennung in Bund für Menschenrecht. Außerdem befand sich auf der Straße eine Vielzahl queerer Bars und Kneipen.
Ansicht der Dresdener Straße 60, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0783v. In den City-Festsälen (Dresdener Straße 52/53), in direkter Nähe zu dem abgebildeten Gebäude, tagte der Bund für Menschenrecht und veranstaltete regelmäßige Urningbälle.
Ansicht der Dresdener Straße 60, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0783v. In den City-Festsälen (Dresdener Straße 52/53), in direkter Nähe zu dem abgebildeten Gebäude, tagte der Bund für Menschenrecht und veranstaltete regelmäßige Urningbälle.
BUND FÜR MENSCHENRECHT

Im September 1919 gründete sich der „Berliner Freundschaftsbundals eine Untersektion des „Deutschen Freundschafts-Verbandes“ (DFV). Der Berliner Bund traf sich im Gartenhaus der Alten Jakobstraße 89. Drei Jahre später schloss er sich mit der „Vereinigung der Freunde und Freundinnen“ zusammen, die in den Central-Festsälen in der Alten Jakobstraße 32 tagte, und benannte sich um in den „Bund für Menschenrecht“ (BfM). Zwischen 1922 und 1923 traf sich der BfM in den City-Festsälen in der Dresdener Straße 52/53, danach zog er wieder zurück in die Alte Jakobstraße. Laut eigenen Angaben hatte der BfM zeitweise 48.000 Mitglieder und sprach, anders als andere Vereine, nicht nur das Bildungsbürgertum an. Als Ziele formulierte der BfM die Abschaffung des §175 und den Kampf gegen die gesellschaftliche Ächtung Homosexueller. Damit ähnelte er dem DFV, dessen Bedeutung und Funktion er später übernahm.

Eine Besonderheit des Vereins war die durchgehende Präsenz weiblicher Stimmen. Viele Vereine der Zeit legten einen Fokus auf männliche Homosexualität und hatten nur wenige weibliche Mitglieder. Zwar lässt sich auch beim BfM keineswegs von der Gleichberechtigung der Geschlechter sprechen, jedoch saß dort ab 1922 zu jedem Zeitpunkt eine Frau im Vorstand.

1934 wurde aufgrund eines Mangels an Mitgliedern die Löschung des BfM beantragt. Vermutlich hatten viele den Verein aus Angst vor Konsequenzen von Seiten der Nationalsozialisten verlassen.

Innenansicht des Jägerhof-Kasinos, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 1852v. Im Jägerhof-Kasino (Hasenheide 52/53) tagte für einige Jahre der Damenclub Violetta.
Innenansicht des Jägerhof-Kasinos, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 1852v. Im Jägerhof-Kasino (Hasenheide 52/53) tagte für einige Jahre der Damenclub Violetta.

„Nicht nur Tanz und gesellige Veranstaltungen können euch Gleichberechtigung bringen, sondern auch Kampf ist nötig, wenn ihr Ansehen und Achtung haben wollt. Kampfeslust muß eure Herzen erfüllen und aus euren Augen leuchten. Darum organisiert euch im Bund für ideale Frauenfreundschaft.“

Hahm, Lotte / Radszuweit, Friedrich: Aufruf an alle gleichgeschlechtlich liebenden Frauen, in: Die Freundin, 1930, H. 22.

DAMENCLUB VIOLETTA

Kurz nachdem Lotte Hahm nach Berlin gezogen war, gründete Lotte 1926 den „Damenclub Violetta“. Er wurde zu einem der größten lesbischen Clubs der Stadt. Der Club, der ebenfalls Teil des DFV und später des BfM war, zählte zeitweise bis zu 400 Mitglieder. Es ging ihnen um Vernetzung und Korrespondenz, aber auch um politischen Aktivismus. Außerdem veröffentlichten sie die Zeitschrift „Die Freundin“. Zielgruppe des Clubs und seiner Zeitschrift waren vor allem Lesben, es wurden jedoch auch immer wieder Veranstaltungen für „Transvestiten“ organisiert; dieser veraltete Oberbegriff meinte Personen, die sich entgegen der Kleiderordnung ihres angeborenen Geschlechts kleideten. Der Club richtete sich darin an Lottes persönlichem Engagement aus, da Lotte sich viel in dieser Szene bewegte und sich vornehmlich in traditionell männlicher Kleidung zeigte.

Der „Damenclub Violetta“ löste sich unter den Nationalsozialisten auf; Lotte Hahm engagierte sich allerdings weiter für Lesben und „Transvestiten“. Über eine mögliche Inhaftierung aufgrund dieses Aktivismus herrscht in der Forschung Uneinigkeit. Lotte Hahm überlebte den Nationalsozialismus und blieb bis zum Tod 1967 Aktivist*in.

Tanzen bis zum Morgengrauen - Urningbälle

Von Oktober bis Ostern füllten Urningbälle die Nächte. Ihrem Ruf nach waren sie extravagant und exzessiv. Das Zielpublikum dieser Bälle waren queere Personen, deren Existenz in der Gesellschaft verpönt war, deren Bälle jedoch als Entertainment der Spitzenklasse galten. Neben queeren Personen erschien auch immer eine Schar Interessierter und Reporter*innen, die dafür sorgten, dass die Spektakel am nächsten Tag in die Zeitschriften und Unterhaltungen getragen wurden.

Mehrmals die Woche strömten Berliner*innen und Tourist*innen zu den Urningbällen, von denen teilweise mehrere an einem Abend stattfanden. Sie entstanden um 1900 und nahmen einen wichtigen Raum im Leben der queeren Bevölkerung Berlins ein. Hier konnten queere Personen gemeinsam existieren und ihre Sexualität ausleben. Außerdem gab es Raum für das Spiel mit Geschlechterdarstellung und Crossdressing – ein Ausleben von Selbstdarstellung und Geschlechtsidentität, das sonst nicht in der Öffentlichkeit präsentiert werden durfte.

Urningbälle hatten vor allem zwei Ziele: Sie sollten queere Personen untereinander bekannt machen und für einen Abend die Illusion einer sexuell und geschlechtlich freien Gesellschaft erzeugen. Dies geschah allerdings immer unter den wachsamen Augen der Polizei, die stets Beamte (Frauen wurden erst 1923 in Köln zum ersten Mal zum Dienst zugelassen) auf den Bällen positionierte.

Bis 1907 behielten Urningbälle ihre Relevanz innerhalb der queeren Gemeinschaft; dann wurden sie in Folge eines gesellschaftspolitischen Skandals im Umfeld des Kaisers (Eulenburg-Affäre) offiziell verboten. In den 1920er Jahren erlebten die Bälle einen erneuten Aufschwung, bevor sie 1933 wieder verboten wurden.

„Die in buntesten Farben schillernde fröhliche Schar bietet ein höchst eigenartiges anziehendes Bild. Zuerst stärken sich die Festteilnehmerinnen an blumengeschmückten Tafeln. Die Leiterin in flotter Sammetjoppe heißt in kurzer kerniger Rede die Gäste willkommen. Dann werden die Tische fortgeräumt. Die „Donauwellen“ erklingen, und begleitet von fröhlichen Tanzweisen, schwingen sich die Paare die Nacht hindurch im Kreise. Aus den Nebensälen hört man helles Lachen, Klingen der Gläser und munteres Singen, nirgends aber — wohin man sieht — werden die Grenzen eines Kostümfestes vornehmer Art überschritten. Kein Mißton trübt die allgemeine Freude, bis die letzten Teilnehmerinnen beim matten Dämmerlicht des kalten Februarmorgens den Ort verlassen, an dem sie sich unter Mitempfindenden wenige Stunden als das träumen durften, was sie innerlich sind.“

Hirschfeld, Magnus, Berlins drittes Geschlecht, S. 56-57.

Innenansicht der Central-Festsäle, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0090v. In den Central-Festsälen (Alte Jakobstraße 32) tagte der Bund für Menschenrecht. Außerdem wurden hier zahlreiche Urningbälle veranstaltet.
Innenansicht der Central-Festsäle, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0090v. In den Central-Festsälen (Alte Jakobstraße 32) tagte der Bund für Menschenrecht. Außerdem wurden hier zahlreiche Urningbälle veranstaltet.
CENTRAL-FESTSÄLE

Im Winter öffneten die Central-Festsäle mehrmals die Woche ihre Türen für die Besucher*innen der Urningbälle, die für einen Abend eine Vielzahl der gesellschaftlichen Normen und Zwänge außer Kraft setzten.

Ansicht der Dresdener Straße 60, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0783v. In den City-Festsälen (Dresdener Straße 52/53), in direkter Nähe zu dem abgebildeten Gebäude, tagte der Bund für Menschenrecht und veranstaltete regelmäßig Urningbälle. Außerdem war hier zeitweise die lesbische Zeitschrift Die Freundin ansässig.
Ansicht der Dresdener Straße 60, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0783v. In den City-Festsälen (Dresdener Straße 52/53), in direkter Nähe zu dem abgebildeten Gebäude, tagte der Bund für Menschenrecht und veranstaltete regelmäßig Urningbälle. Außerdem war hier zeitweise die lesbische Zeitschrift Die Freundin ansässig.
CITY-FESTSÄLE

Auch der „Bund für Menschenrecht“ veranstaltete regelmäßig Bälle, auf denen queere Personen sich kennenlernen und ihre Abende verbringen konnten. Diese fanden in den City-Festsälen statt, die wenige Hausnummern neben dem Geschäft auf der Ansichtskarte lagen.

Kneipe, Casino, Kabarett –
Queere Unterhaltungskultur

Damals wie heute war Kreuzberg eine Gegend mit einem aktiven Nachtleben – auch für queere Personen.

Neben den klassischen Bars, die unabhängig von ihrer Umgebung existierten, gab es auch Lokale mit queerem Publikum in der Nähe von Kasernen, die sich an die dort stationierten Soldaten richteten. Häufig hatten sie allerdings eine sehr kurze Lebensdauer, da sie vom Militär schnell geschlossen wurden, sobald die Leitung etwas von ihrer Existenz erfuhr.

Ansicht der Ecke Kommandantenstraße/Alte Jakobstraße, 1925, o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0101v. In der Alten Jakobstraße 89, in der Nähe des abgebildeten Ansichtskartenmotivs, tagte der Berliner Freundschaftsbund vor seinem Zusammenschluss mit dem Verein der Freunde und Freundinnen und seiner Umbenennung in Bund für Menschenrecht. Außerdem befand sich auf der Straße eine Vielzahl queerer Bars und Kneipen.
Ansicht der Ecke Kommandantenstraße/Alte Jakobstraße, 1925, o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0101v. In der Alten Jakobstraße 89, in der Nähe des abgebildeten Ansichtskartenmotivs, tagte der Berliner Freundschaftsbund vor seinem Zusammenschluss mit dem Verein der Freunde und Freundinnen und seiner Umbenennung in Bund für Menschenrecht. Außerdem befand sich auf der Straße eine Vielzahl queerer Bars und Kneipen.
DIE ALTE JAKOBSTRASSE

Die Alte Jakobstraße diente für viele Jahre als queere Vergnügungsmeile. In verschiedenen Häusern fand sich ein vielseitiges Angebot an Bars und Kneipen.

49 – Restaurant (Name unbekannt)

In der Alten Jakobstraße 49, nur wenige Meter vom Eingang des hier gezeigten Geschäfts entfernt, betrieb einer der Mitbegründer des Berliner Freundschaftsbundes und späteres Vorstandsmitglied des Bundes für Menschenrecht sein Lokal und bot Raum für „solide, kleinbürgerliche Herren“. Außerdem fanden hier Urningbälle statt.

60 – Eldorado-Diele

Einige Häuser weiter in der Nummer 60 befand sich ein queeres Lokal, welches als „gemütliches Heim für ältere Herren“ bezeichnet wurde. Hier wird deutlich, dass damals wie heute auch ältere Menschen Mitglieder der queeren Community waren und sich in ihr bewegten.

Sicht auf das Postamt 13 in der Alten Jakobstraße 169/170, o.J., Photo-Verlags-Anstalt Otto Esch, Verlag, Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0137. In der Alten Jakobstraße 174, in der Nähe des abgebildeten Ansichtskartenmotivs, befand sich das queere Kabarett Spinne.
Sicht auf das Postamt 13 in der Alten Jakobstraße 169/170, o.J., Photo-Verlags-Anstalt Otto Esch, Verlag, Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0137. In der Alten Jakobstraße 174, in der Nähe des abgebildeten Ansichtskartenmotivs, befand sich das queere Kabarett Spinne.

„Auch ein Kabaret, das von Urningen geleitet und hauptsächlich von diesen besucht wird, gibt es in Berlin. Auf allen diesen Veranstaltungen tritt die eigentliche Sexualität genau so zurück wie in den entsprechenden normalsexuellen Kreisen. Das Bindemittel ist lediglich das aus der Gemeinsamkeit der Lebensschicksale sich ergebende Gefühl der Zusammengehörigkeit.“

Hirschfeld, Magnus, Berlins drittes Geschlecht, S. 37.

174 – Kabarett Spinne

Wenige Hausnummern von dem hier abgebildeten Gebäude entfernt befand sich das „Kabarett Spinne“, ein beliebtes Ziel der queeren Bevölkerung Berlins. Es brachte eine Vielzahl von Aufführungen auf die Bühne – unter anderem solche, in denen die Darstellenden mit Geschlecht (gender) spielten.

Ansicht der Zossener Straße 8, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 5311v. In der Zossener Straße 7, in direkter Nähe zu dem abgebildeten Gebäude, befand sich die queere Kneipe Noster’s Restaurant zur Hütte.
Ansicht der Zossener Straße 8, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 5311v. In der Zossener Straße 7, in direkter Nähe zu dem abgebildeten Gebäude, befand sich die queere Kneipe Noster’s Restaurant zur Hütte.

„It was heated by a big old-fashioned iron stove. Partly because of the great heat of this stove, partly cause they knew it excited their clients (die Stubben), the boys stripped off their sweaters or leather jackets and sat around with their shirts unbuttoned to the navel and their sleeves rolled up to the armpits.“

Christopher Isherwood: Christopher and his Kind, Suffolk 1977, S. 30.

„Noster’s Restaurant zur Hütte“

„Noster’s Restaurant zur Hütte“ richtete sich an ein männliches Publikum und befand sich inmitten des Arbeiter*innenbezirks Kreuzberg.

Ansicht der Friedrichstraße 27, vmtl. 1908, o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0950v. In der Friedrichstraße 26, in direkter Nähe zu dem abgebildeten Gebäude, befand sich das queere Bürger Casino.
Ansicht der Friedrichstraße 27, vmtl. 1908, o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0950v. In der Friedrichstraße 26, in direkter Nähe zu dem abgebildeten Gebäude, befand sich das queere Bürger Casino.
BÜRGER CASINO

Auch das „Bürger Casino“ war ab Mitte der 1920er Jahre ein Ort queeren Lebens in Kreuzberg. (Die genaue Lage des „Bürger Casinos“ ist allerdings umstritten, teilweise wird es auch in der Friedrichsgracht verortet.)

„Für Aufklärung und geistige
Hebung der idealen Freundschaft“ -
Die Zeitschriftenszene

Die queere Zeitschriftenszene blühte zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf. In enger Verbindung zu den Freundschaftsvereinen entstand eine Reihe von Publikationen, die sich ausdrücklich an ein queeres (vornehmlich homosexuelles) Publikum richteten. Die Zeitschriften dienten als Sprachrohre der Clubs und Vereine und beinhalteten politische Statements und Forderungen, genauso wie Unterhaltung und Texte aus der Community. Darüber hinaus trugen die Zeitschriften auch zur Vernetzung bei, indem sie Anzeigen veröffentlichten und über Ereignisse informierten.

Ansicht der Kreuzung Alexandrinenstraße/Oranienstraße, o.J., Verlag: Joh. Franke, Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0046v. In der Alexandrinenstraße 8, in Nähe zur abgebildeten Straßenecke, wurde eine der bekanntesten queeren Zeitschriften, Die Freundschaft, gedruckt.
Ansicht der Kreuzung Alexandrinenstraße/Oranienstraße, o.J., Verlag: Joh. Franke, Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0046v. In der Alexandrinenstraße 8, in Nähe zur abgebildeten Straßenecke, wurde eine der bekanntesten queeren Zeitschriften, Die Freundschaft, gedruckt.
DIE FREUNDSCHAFT

Eine der wohl prominentesten Zeitschriften wurde zunächst in der Alexandrinenstraße 8 und später am Planufer 5 gedruckt und veröffentlicht.

Am 14. August 1919 brachte der Karl-Schultz-Verlag zum ersten Mal die Zeitschrift „Die Freundschaft – Wochenschrift für Aufklärung und geistige Hebung der idealen Freundschaft“ heraus. Die erste Auflage umfasste 20.000 Exemplare und in ihr formulierten die Herausgeber*innen ihre Ziele:

„Die Freundschaft

■■ will allen freidenkenden Freunden und Freundinnen ein aufklärender, belehrender und unterhaltender, in trüben Stunden aufrichtender guter Freund und Berater in allen Lebenslagen sein.

■■ will die Interessen der freidenkenden ledigen Personen in jeder Weise vertreten. will allen denjenigen, welchen durch wirtschaftliche Verhältnisse oder [aus] sonstigen Gründen der ersehnte ideale freundschaftliche Verkehr erschwert wird, ein Vermittler sein.

■■ vertritt den Standpunkt der freien Selbstbestimmung und Verfügung des erwachsenen

Individuums über sich selbst.

■■ will kein Skandal- und Sensationsblatt sein, sondern eine auf idealer Grundlage aufgebaute, mit dem Zuge der Zeit gehende, aufklärende, freidenkende Wochenzeitschrift.“
(Was wir wollen!, in; Die Freundschaft Nr. 1, [August] 1919, S. 1.)

In der zweiten Ausgabe folgte ein Artikel zum Thema Diffamierung homosexueller Personen in der Presse und der Notwendigkeit der „wahren Aufklärung”. Damit waren die Hauptziele der Zeitschrift dargelegt, die sich mit denen der „homosexuellen Bewegung” in der Weimarer Republik weitestgehend deckten: die Abschaffung des §175 und die Aufklärung über Homosexualität. Außerdem sollten Unterhaltung und Unterstützung für homosexuelle Menschen geboten werden. Anders als einige andere Zeitschriften richtete sich „Die Freundschaft” an die breite Bevölkerung und nicht ausschließlich an das Bildungsbürgertum. Die Zeitschrift konnte an Kiosken und von Straßen-Zeitungsverkäufer*innen erworben werden, was den Zugang weiter erleichterte.

Ansicht der Dresdener Straße 60, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0783v. In den City-Festsälen (Dresdener Straße 52/53), in direkter Nähe zu dem abgebildeten Gebäude, tagte der Bund für Menschenrecht und veranstaltete regelmäßig Urningbälle. Außerdem war hier zeitweise die lesbische Zeitschrift Die Freundin ansässig.
Ansicht der Dresdener Straße 60, o.J., o.V., Sammlung: Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 0783v. In den City-Festsälen (Dresdener Straße 52/53), in direkter Nähe zu dem abgebildeten Gebäude, tagte der Bund für Menschenrecht und veranstaltete regelmäßig Urningbälle. Außerdem war hier zeitweise die lesbische Zeitschrift Die Freundin ansässig.
DIE FREUNDIN

„Die Freundin“ war die erste bekannte lesbische Zeitschrift im deutschen Raum und gleichzeitig die langlebigste in der Zeit der Weimarer Republik. 1924 brachte der „Damenclub Violetta“ zum ersten Mal ihre Vereinszeitschrift „Die Freundin“ heraus, deren Druck erst mit Auflösung des Clubs 1933 eingestellt wurde. Die Zeitschrift war innerhalb dieser Zeit fest in der lesbischen Szene verankert. Sie bezog politisch Stellung, informierte über lesbisches Leben, veröffentlichte Kurzgeschichten und Romane, Anzeigen für Treffpunkte und Kontaktanzeigen von Privatpersonen. Angesprochen wurden zu großen Teilen lesbische Personen, aber die Zeitschrift enthielt aufgrund der Ausrichtung des Clubs ebenfalls Angebote für „Transvestiten“. Eine Ausnahme bildete der Anzeigenteil, wo auch schwule Männer und heterosexuelle Personen zu finden waren. Besonders im Fall der meist politisch eingefärbten Leitartikel waren die Autor*innen häufig Männer.

In der späteren Forschung stellte sich heraus, dass viele queere Frauen der Zeit der Zeitschrift „Die Freundin“ das Hervorbringen einer kollektiven lesbischen Identität zuschreiben, indem sie Lesben deutschlandweit miteinander vernetzte.

Autor*in

Janika Stolt
Studiengang MA Public History

LITERATUR

Beachy, Robert: Gay Berlin. Birthplace of a Modern Identity. New York 2014. Knopf Verlag.

Bollé, Michael: Eldorado: homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850 – 1950; Geschichte, Alltag und Kultur ; [Ausstellung im Berlin-Museum: 26. Mai – 8. Juli 1984]. Berlin 1992. Frölich & Kaufmann.

Digitales Deutsches Frauenarchiv (Hg.): Über Lotte Hahm, https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/lotte-hahm#actor-network.

Dobler, Jens: Von anderen Ufern – Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain. Berlin 2003. Bruno Gmünder Verlag.

Experiencing History (Hg.): Advertisement for „Violetta Ladies Club“, https://perspectives.ushmm.org/item/advertisement-for-violetta-ladies-club#.

Gammerl, Benno: Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute. München 2023. Carl Hanser Verlag.

Hindermith, Stella/Leidinger, Christiane/Radvan, Heike/Roßhart, Julia (Hg.). Wir* hier! Lesbisch, schwul und trans* zwischen Hiddensee und Ludwigslust. Ein Lesebuch zu Geschichte, Gegenwart und Region. Berlin 2019. Lola für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern e.V..

Hirschfeld, Magnus, Berlins Drittes Geschlecht. Berlin 1904. Verlag rosa Winkel.

Lesbengeschichte(Hg.): Lotte (Charlotte) Hahm (1890-1967), https://lesbengeschichte.org/bio_hahm_d.html.

Lücke, Martin: Komplizen und Klienten. Die Männlichkeitsrhetorik der Homosexuellen- Bewegung in der Weimarer Republik als hegemoniale Herrschaftspraktik. In: Brunotte, Ulrike/Herrn, Rainer (Hg.): Männlichkeiten und Moderne. Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900, Bielefeld 2007. Transcript. S. 97-110.

Micheler, Stefan: Zeitschriften, Verbände und Lokale gleichgeschlechtlich begehrender Menschen in der Weimarer Republik. Online-Publikation 2008. http://www.stefanmicheler.de/wissenschaft/stm_zvlggbm.pdf.

Moreck, Curt: Ein Führer durch das lasterhafte Berlin. Das deutsche Babylon 1931. München 2020 (Erstausgabe 1931). Btb.

Schader, Heike: Virile, Vamps und wilde Veilchen. Sexualität, Begehren und Erotik in den Zeitschriften homosexueller Frauen im Berlin der 1920er Jahre, Berlin 2004. Ulrike Helmler Verlag.