NOVEMBERREVOLUTION

Die Revolution begann als Widerstand gegen den Ersten Weltkrieg mit meuternden Matrosen in Kiel und Wilhelmshaven und wurde in Berlin durch einen Generalstreik vollendet. Am 9. November 1918 musste der Kaiser abdanken und Arbeiter- und Soldatenräte übernahmen die Macht, bis im Januar 1919 ein Parlament gewählt wurde. Die Revolutionär*innen forderten Frieden, soziale Gleichheit und Demokratie. Offen blieb, ob eine parlamentarische Republik oder eine Räterepublik folgen sollte. Diese Debatte wurde vor allem in der sozialistischen Arbeiter*innenbewegung von SPD und Gewerkschaften geführt.

Die SPD hatte 1914 den Krieg unterstützt, doch mit immer mehr Toten an der Front und Hunger in den Städten wuchsen die Proteste. Im April 1917 gründeten Kriegsgegner*innen die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD). Die „Spartakusgruppe“ von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg bildete den linken Flügel der neuen Partei, bevor sie 1919 als „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD) eigenständig wurde. Auch das Netzwerk
der „Revolutionären Obleute“ war gegen den Krieg und organisierte Streiks, an denen auch Arbeiterinnen der Rüstungsindustrie und Hausfrauen teilnahmen.

Auseinandersetzungen fanden auch in Kreuzberg statt. In der Lindenstraße waren die SPD-Zentrale und die Druckerei ihrer Zeitung „Vorwärts“, deren Kriegskurs Unmut hervorrief.
Die Sammlung Peter Plewka zeigt Orte der Arbeiter*innenbewegung und die Kämpfe mit rechten Freikorps im Januar 1919. Streiks und Proteste von 1916 bis 1918 sind aufgrund von Presse- und Postzensur jedoch nicht abgebildet.

Werden sie schießen? Kreuzberg am Vorabend der Revolution

Seit dem Sommer 1918 hatten Mitglieder der USPD, der Revolutionären Obleute und der Spartakusgruppe sich heimlich getroffen, Waffen gesammelt und einen Generalstreik vorbereitet. Die Matrosenrevolte schien der richtige Anlass zum Losschlagen – doch ob die Massen folgen würden, blieb unklar. Die Revolutionär*innen waren zudem mit ihren wenigen Handwaffen hoffnungslos unterlegen. Es war fraglich, ob eine Überrumpelung des Militärs gelingen konnte.
Allein in Kreuzberg befanden sich fünf Kasernen, darunter unweit des U-Bahnhofs Hallesches Tor die Reitställe des 1. Garde-Dragoner-Regiments. Richard Müller, der Anführer der Revolutionären Obleute, beobachtete dort am Vorabend der Revolution die Truppenbewegungen:
„Am 8. November abends stand ich am Halleschen Tor. Schwer bewaffnete Infanteriekolonnen, Maschinengewehr-Kompagnien und leichte Feldartillerie zogen in endlosen Zügen an mir vorüber, dem Inneren der Stadt zu. Das Menschenmaterial sah recht verwegen aus. Es war im Osten zum Niederschlagen der russischen Arbeiter und Bauern und gegen Finnland mit ‚Erfolg‘ verwendet worden. Kein Zweifel, es sollte in Berlin die Revolution des Volkes im Blute ersäufen.“

Noch steht des Kaisers Ordnung. Militärparaden sind um 1900 öffentliche Ereignisse, die kaum Absicherung benötigen. Viele Ansichtskarten dieser Zeit zeigen Aufmärsche und zuschauenden Menschenmengen. Sie dokumentieren eine militarisierte Gesellschaft, die auch der Schreiber „K.F.“ erhalten sehen will: Der Schutzmann halte „glücklicherweise besser Ordnung wie der Vorstand der Jugendwehr“ – letztere war eine paramilitärische Organisation für Schüler.

Friedliche Revolution 1918

Als am Morgen des 9. November Mitglieder der USPD und der Revolutionären Obleute zum Generalstreik aufriefen, besetzten die Arbeitenden ihre Betriebe, Demonstrant*innen stürmten Regierungsgebäude und Kasernen. Ihr Ziel waren die Zentren der Macht. Wie durch ein Wunder begann eine friedliche Revolution: Die kampfesmüden Truppen leisteten kaum Widerstand, nur vereinzelt kam es zu Schusswechseln. Am 10. November übernahm eine Regierung von sechs „Volksbeauftragten“ aus SPD und USPD die Macht. Am Tag danach folgte der Waffenstillstand – der Weltkrieg war vorbei.
Der 9. November selbst ist in den Ansichtskarten der Sammlung Plewka nicht überliefert. In anderen Sammlungen finden sich Bildkarten mit Bezug zum 9. November, sind jedoch selten. Gründe dafür könnten sein, dass die Ereignisse sich überschlugen, die Kameratechnik noch umständlich war, an den wenigsten Orten Fotograf*innen präsent waren und zudem Pressezensur galt. Mehr Vorbereitung und Freiheit hatten Bildjournalist*innen bei den mehrtägigen Kämpfen des Januaraufstands 1919, die sich auch in Kreuzberg abspielten. Aufständische forderten eine „Zweite Revolution“ – ein Anlauf, der von rechten Freikorps niedergeschlagen wurde.

Gegenrevolutionäre Freikorps am Belle-Alliance-Platz (heute Mehringplatz) haben ihr Geschütz in Richtung U-Bahnhof Hallesches Tor gerichtet. Das Motiv zeigt, wie der bisher ferne Krieg im städtischen Alltag ankommt. Das Foto entstand wahrscheinlich im Januar 1919: Die Truppe sichert den Platz nach Süden ab, vor oder kurz nach der Erstürmung des Vorwärts-Gebäudes an der Nordseite.

Kampf um die Medien: Januaraufstand und „Vorwärts“-Besetzung

Vom 5. bis 12. Januar 1919 fand ein Aufstand statt, der den Sturz der Volksbeauftragtenregierung zum Ziel hatte. Sie war am 10. November 1918 aus SPD und USPD gebildet worden. Doch letztere Partei konnte ihre Positionen nicht durchsetzen. Ab Dezember regierte die SPD alleine, die beschlossene Vergesellschaftung der Industrie wurde nicht umgesetzt. Als am 4. Januar 1919 der USPD-Polizeipräsident Emil Eichhorn abgesetzt werden sollte, wollten Arbeiter*innen dies mit einer Demonstration am Folgetag verhindern. Dabei wurden mehrere Zeitungshäuser besetzt, darunter der sozialdemokratische „Vorwärts“ direkt an der Mündung des Belle-Alliance-Platzes (heute Mehringplatz). Arbeitende hatten den Kauf der Gebäude mit Spenden finanziert. Im Weltkrieg widersetzte sich Chefredakteur Heinrich Ströbel dem patriotischen Kurs der SPD und wurde 1916 abgesetzt. Dieser „Vorwärts-Raub“ war Hintergrund der Besetzung im Januar 1919.
Auch andere Redaktionen wurden übernommen: Chaotisch und spontan versuchten Aufständische, die Revolution weiterzutreiben. Ihr Anlauf wurde von rechten Paramilitärs unter Regierungskommando niedergeschlagen. Die Kämpfe gingen als „Spartakusaufstand“ in die Geschichte ein. In der Spartakusgruppe herrschte jedoch anfangs Uneinigkeit bezüglich des Aufstands, an deren Leitung auch USPD-Politiker sowie die Revolutionären Obleute beteiligt waren. Dennoch schrieb die konservative und sozialdemokratische Presse den Aufstand allein „Spartakisten“ zu. Er wurde erst medial isoliert, danach militärisch zerschlagen. Die Ansichtskarten der Sammlung Plewka sind Teil dieser Erzählung: Sie zeigen Kämpfe, aber nicht den gewaltlosen Generalstreik. Die Aufständischen werden unterschiedslos als „Spartaciden“ bezeichnet. Nur eine Karte nennt auf der Rückseite ihre Losung einer „zweiten Revolution“.

Das „Vorwärts“-Gebäude gilt bis heute als einer der zentralen Schauplätze des Januaraufstands 1919. Motive der Sammlung Plewka zeigen es vor, während und nach der Erstürmung. Die Besetzer*innen sind mit Gewehren bewaffnet und teils in Zivil gekleidet. Im Gegensatz dazu sind die Freikorps in Uniform, mit Stahlhelmen und Artillerie abgebildet, die vom Belle-Alliance-Platz (heute Mehringplatz) in Richtung Norden abgefeuert wurde. Mitunter ist unklar, ob die Motive das Kampfgeschehen dokumentieren oder nachgestellt sind.

Mord auf dem Kasernenhof

Am 11. Januar 1919 wurden sieben Männer auf dem Hof der Dragoner-Kaserne ermordet. Sie waren Teilnehmende des Januaraufstands und gehörten zu den Besetzer*innen des „Vorwärts“. Alle sieben hatten das Gebäude mit weißer Fahne verlassen und hofften auf Verhandlungen. Stattdessen wurden sie in die Dragoner-Kaserne getrieben. Dort residierte das „Regiment Potsdam“, ein paramilitärisches Freikorps. Kommandeur war der ehemalige Kolonialoffizier Franz von Stephani. Gemeinsam mit britischen Truppen hatte er 1908 eine „Strafexpedition“ in den Sankwala-Bergen im heutigen Nigeria durchgeführt, bei der 1200 Menschen ermordet wurden. Nun war Kreuzberg sein Einsatzgebiet: Seit dem Morgen hatte die Truppe das Vorwärts-Gebäude beschossen. Verhandlungen mit den Aufständischen wurden abgelehnt. Die unbewaffneten Verhandler wurden in die wenige Straßen entfernte Dragoner-Kaserne verschleppt, misshandelt und ermordet. Sie hießen Werner Möller, Wolfgang Fernbach, Kurt Grubusch, Walter Heise, Erich Kluge, Arthur Schöttler und Paul Wackermann. Mittags wurden weitere 300 Verhaftete aus dem „Vorwärts“-Gebäude in den Kasernenhof geführt und dort misshandelt. Sie kamen mit dem Leben davon. Kommandeur Stephani wurde nie zur Verantwortung gezogen. Er führte ab 1924 den Berliner Zweig des Frontkämpferverbandes „Stahlhelm“, ab 1933 saß er für die NSDAP im gleichgeschalteten Reichstag.

Politik in der Hasenheide –
„Kliems Festsäle“ (Hasenheide 13–15)

„Die auswärtige Politik wird nicht in der Hasenheide gemacht“ – so kommentierte Reichskanzler von Bülow 1905 einen geplanten Auftritt des französischen Sozialisten Jean Jaurès im Veranstaltungsort „Neue Welt“ (Hasenheide 108). Mit der Veranstaltung wollte die deutsche Arbeiter*innenbewegung ihre Verbindung zu Frankreich zeigen. Dem deutschen Staat passten solche Zusammenschlüsse mit dem ehemaligen Kriegsgegner nicht – Jaurès wurde die Einreise verboten.
Die Hasenheide am Rande des gleichnamigen Parks galt als Vergnügungsmeile der „kleinen Leute“. Biergärten und Festsäle säumten die Straße. Auch Gewerkschaften und SPD mieteten auf Neuköllner Seite die „Neue Welt“ und gegenüber in Kreuzberg „Kliems Festsäle“ für Versammlungen. Nach der Novemberrevolution tagte bei „Kliems“ auch die KPD, im selben Jahr inszenierte Erwin Piscator hier „proletarisches Theater“. 1930 wurde die antikoloniale Revue „Sonnenaufgang im Morgenland“ von Louis Brody aufgeführt. Im Jahr zuvor war „Kliems“ Schauplatz des „Blutmai“ 1929, ein Arbeiter starb durch eine Polizeikugel. In der NS-Zeit lief „Kliems“ ohne Gewerkschaften – Vereine und die „Deutsche Arbeitsfront“ füllten die Räume. 1941 verkaufte die Familie Kliem die Festsäle an eine Brauerei. Nach einem Umbau 1946 residierte im großen Saal ein Kino, 1948 gründete sich hier der Berliner Landesverband der Gewerkschaft der Polizei. Von 1968 bis 1981 hatte hier die legendäre Diskothek Cheetah ihren Sitz, in der unter anderem Fats Domino, Bill Haley und Desmond Decker auftraten.

Seit 1871 betrieb die Familie Kliem in der Hasenheide 13–15 eine Vergnügungsstätte. 1899 wurde ein neues Gebäude errichtet. „Gartensaal“ und „Großer Saal“ boten Platz für Gruppen von 50 bis 3000 Personen, hinzu kam der Biergarten „Sommertheater“. Soldaten wurde 1878 der Besuch verboten, da hier Sozialdemokrat*innen verkehrten. Die Ansichtskarten aus der Sammlung Plewka vermitteln mit ihren Motiven die Größe der Räume, ohne Aufschluss über deren Nutzung zu geben.

Autor*in

Ralf Hoffrogge

LITERATUR

Robbie Aitken, Berlins Schwarzer Kommunist – Joseph Bilé, die Komintern und der Kampf für die Rechte der Schwarzen, RLS Publikationen, Berlin 2019.
Bundesarchiv, Biogramm Franz von Stephani, online: https://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/adr/adrsz/kap1_1/para2_470.html

Laurenz Demps, Klaus Hübner, Georg Schertz u.a., Berliner Polizei von 1945 bis zur Gegenwart, Berlin 2020.
Moritz van Dülmen, Björn Weigel, Es Lebe das Neue! Berlin in der Revolution 1918/1919, Berlin 2018, zur Dragonerkaserne S. 156.

Richard Müller, Eine Geschichte der Novemberrevolution, Neuauflage Berlin 2011, Zitat auf S. 150.

Uwe Schulte-Varendorff, „Kolonialheld“ oder „Lügenbaron“? Die Geschichte des bayerischen Kolonialoffiziers Hermann Detzner, Hamburg 2014, zu Franz von Stephani insbes. S. 20.

Lothar Uebel, Hasenheide 13, Berlin 2020.