Die Sammlung der über 5.600 Postkarten von Peter Plewka ist für das FHXB Museum in ihrem Umfang und ihrer Ordnung ungewöhnlich. Denn sie unterscheidet sich von der bestehenden Museumssammlung in ihrem Fokus auf historische Bildpostkarten und in ihrem eigenen alphabetischen Ordnungssystem nach Straßennamen.
Viele Bildpostkarten sind für das FHXB Museum mit ihren Motiven die einzig erhaltenen Abbildungen bestimmter Orte in Kreuzberg. Da die Sammlung nicht nur Ansichten von touristischen Attraktionen, sondern vor allem von nicht repräsentativen Häuserfassaden, gewöhnlichen Straßenschluchten und lokalen Unternehmen enthält, ist sie für das Erforschen und Abbilden des Kreuzberger Alltags aufschlussreich.
Der Umgang mit Neuzugängen dieser Art wirft Fragen zur Dokumentation, Ordnung, Nutzung der Objekte und zum Sammeln auf. Was zeigen die Bildpostkarten von Kreuzberg aus dem Zeitraum um 1890 bis 1945? Was nicht? Welche gesellschaftlichen Realitäten werden überproportional sichtbar, welche kaum oder gar nicht? Welche Schwerpunkte und Lücken ergeben sich daraus? Wie betrachten Museumsbesucher*innen, Forschende und Museumsleute die Karten? Wer war der Sammler? Wie suchte er, woher bezog er seine Sammlungsstücke? Wie wählte er sie aus? Was wurde ihm angeboten? Wie entstehen Postkarten überhaupt?
Bildobjekte entstehen immer in gesellschaftspolitischen Kontexten. Die Erschließung der Sammlung Peter Plewka ist ein Anlass, kritisch mit solchen Bildobjekten wie Ansichtskarten zu arbeiten und ihren komplexen Geschichten nachzugehen.
Peter Plewka hat seine Postkartensammlung alphabetisch nach Straßennamen und chronologisch nach Herstellungsjahren in Alben sortiert. Das FHXB Museum hat die Ordnung beibehalten, allerdings in archivgerechte Alben umgebettet. Auf vielen Karten hat Plewka Anmerkungen zu Straßenumbenennungen oder Veränderungen der Hausnummern vermerkt.
Die Sammlung Peter Plewka in Archivalben des FHXB Museums.
Plewkas Ansichtskarten sind vielfältig in der Datierung, der Verortung und in ihren Bildkompositionen. Die Sammlung reicht von etwa 1890 bis 1945, also vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zum Nationalsozialismus.
Einen Ausgangspunkt für die Arbeit mit der Sammlung hat Peter Plewka selbst geschaffen, indem er die Karten alphabetisch nach Straßennamen in Alben sortierte. Hier überwog die Relevanz des Ortes gegenüber der Zeit oder dem Motiv. Diese Gewichtung haben wir übernommen. Eine abweichende Schwerpunktsetzung würde andere Assoziationen und Vorstellungen wecken. Da bei einigen Ansichtskarten Angaben zum Entstehungszeitraum fehlen, haben wir uns einer Datierung durch Anhaltspunkte in den Abbildungen genähert. Durch die topografische Ordnung können Karten aus sehr unterschiedlichen Phasen und Regimen nebeneinanderliegen, was wir beim Arbeiten mit der Sammlung immer wieder reflektieren.
Seit ihrer Entstehung gelten Motive von Bildpostkarten als historische Quellen. Sie wurden und werden teilweise auch heute als Zeugnisse vergangener Lebenswelten betrachtet. In den 1970er Jahren fing die Forschung an, die Darstellung solcher Bilder kritisch zu befragen. Fragen darüber, wie solche Motive zur Herstellung, Normalisierung und Unterstützung von rassistischen, faschistischen, antisemitischen und nationalsozialistischen Machtstrukturen beitragen, rückten in den Vordergrund. Zunehmend werden auch Produktionskontexte und die Nutzung von Postkarten untersucht. Zwischen der Aufnahme des Motivs, der Produktion der Karte, ihrer Beschriftung, ihrem Versand und dem Empfang konnten Jahre, auch Jahrzehnte vergehen.
Jede Postkarte bietet zwei Textebenen: gedruckte Beschriftungen und handschriftliche Mitteilungen. Die gedruckte Beschriftung spiegelt oftmals Machtverhältnisse, z.B. in der Benennung von Orten oder Ereignissen und gleichzeitigen Nichtbenennung anderer abgebildeter Elemente. Handschriftliche Notizen geben Aufschlüsse über den individuellen Gebrauch. Bildpostkarten wurden von breiten Teilen der Bevölkerung genutzt. Dadurch geben sie Einblicke in Realitäten von Personen, deren Leben oft nicht dokumentiert ist, wie z.B. von Arbeiter*innen und Frauen.
Bildpostkarten waren um 1900 ein alltägliches Kommunikationsmittel und gingen durch viele Hände. Verschiedene Akteur*innen und Bedingungen beeinflussten jede Karte, von der Motivauswahl bis zum Versand. Der jeweilige gesellschaftspolitische Kontext wird in handschriftlichen Texten, aber auch Briefmarken und Poststempeln deutlich.
Motive von Bildpostkarten sind als dokumentarische Quellen problematisch: Die Bilder sind meist inszeniert und oft wurden sie nachträglich manipuliert, z.B. durch Bildretuschen oder auch Collagen verschiedener Bilder. Um 1900, in der Hochphase der Bildpostkarte, war dies den Nutzenden allerdings bewusst.
Die Entstehung von Motiven auf Bildpostkarten war sehr unterschiedlich. Einige wurden gezielt z.B. zur Werbung oder Inszenierung mit komponiertem, verziertem Bildaufbau und künstlerischer Gestaltung erstellt. Andere Motive wirken spontan und entstanden im Vorbeigehen oder sogar als Fehlprodukte.
Bildpostkarten sind in die jeweiligen Machtverhältnisse eingebunden. Ihre Motive enthalten oft auch Elemente und Symbole, die beiläufig oder im Hintergrund erscheinen. Auf diese Weise vermitteln, verfestigen und normalisieren sie Ideologien, politische Systeme und Herrschaftsstrukturen.
Bildpostkarten wurden als Gebrauchsgegenstände genutzt, jedoch veränderten Beschriftung und Versand die Bildobjekte. Oft wurde nicht nur im Textfeld, sondern auch auf den Ansichten geschrieben, was die Bildhaftigkeit beeinflusste. Die Handschrift korrespondiert mit den Motiven und muss entsprechend in die Quellenkritik einbezogen werden.