Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts war eine Verdichtungszeit von technischen Innovationen, mit denen sich das heutige Deutschland zu einer Industriegesellschaft transformierte. Die systematische Verbindung von Wissenschaft und Technik führte zu zahlreichen neuen Errungenschaften und einer explosionsartigen Ausdehnung der Industrie. Anfang des 20. Jahrhunderts zogen immer mehr Menschen von nah und fern und mitunter aus ländlichen Regionen in Städte. Damit veränderte sich nicht nur das Leben der Menschen, die bisher in Dörfern, Klein- und Vorstädten gelebt hatten. Auch die Städte mussten neugestaltet werden, um die Bevölkerung mit Lebensraum, Verkehrsmitteln und Konsumgegenständen zu versorgen. Vor dem Hintergrund der Industrialisierung entwickelte sich die moderne Großstadt; Berlin wurde zu einer ihrer Vorreiterinnen mit technischen Innovationen und im Städtebau.
So ebnete beispielsweise die Entwicklung von Verbrennungsmotoren den Weg für das Automobil, während parallel die Elektrizität als Kraftantrieb nutzbar gemacht wurde. Die Elektrifizierung der Straßenbahnen, die Inbetriebnahme der ersten elektrischen Hoch- und Untergrundbahn Deutschlands und die künstliche Straßenbeleuchtung prägten das Erscheinungsbild Berlins nachhaltig. Technische Innovationen durchdrangen nicht nur die Fabriken und Produktionen, sondern auch den Alltag und die Freizeit der Menschen. Große Warenhäuser wie Karstadt am Hermannplatz wurden zu Symbolen der Konsumgesellschaft und wurden zu einer Art „Kathedralen der Moderne“. Massenmedien wie die Ansichtskarte erfreuten sich großer Beliebtheit und spiegelten zentrale Merkmale einer sich stark modernisierenden Welt wider: ökonomische Rationalität, Geschwindigkeit, neuartige visuelle Kommunikation oder kommunikative Teilhabe. Dies zeigt sich auch in der Sammlung Peter Plewka und den hier ausgewählten Motiven.
Somit beförderte der technologische Fortschritt dieser Zeit einen weitverbreiteten Optimismus und den starken Glauben an die Fähigkeit der Menschheit, durch Wissenschaft und Technik die Lebensbedingungen kontinuierlich zu verbessern. Darüber hinaus bestätigte er aber auch ein europäisches koloniales Selbstverständnis, der technische Fortschritt sei ein Projekt der westlichen imperialen Welt und diene der Zivilisierung der restlichen Welt.
Der Fortschrittsglaube wurde ferner nicht uneingeschränkt befürwortet. Während viele die positiven Auswirkungen der Technologie und Industrialisierung begrüßten, gab es auch Stimmen, die vor dem Bedrohungs- und Zerstörungspotenzial warnten. Sie verwiesen auf die Ausbildung einer modernen Klassengesellschaft oder prangerten die Unterdrückung und Ausbeutung der Menschen in den Kolonien an. In Berlin existierten neben modernen weiterhin auch traditionelle Elemente: Pferdefuhrwerke und Automobile teilten sich die Straßen, während Dampflokomotiven trotz elektrischer Straßenbahnen weiterhin in Betrieb waren. Dieses Nebeneinander von neuen und alten Technologien prägte die Entwicklung der Lebensverhältnisse in der Großstadt Berlin.
Die moderne Großstadt mit ihren technischen Neuerungen und ihrer urbanen Architektur ist auf einigen Ansichtskarten der Sammlung Plewka zu finden. Sie vermitteln für heutige Betrachter*innen das Bild einer fortschrittlichen Metropole.
Zum Ende des 19. Jahrhunderts erlebte Berlin durch die Industrialisierung, die Ernennung zur Reichshauptstadt und die Eingemeindung umliegender Orte einen beispiellosen Bevölkerungszustrom. Die Aussicht auf Arbeit zog viele Menschen an und führte zu neuen Herausforderungen im öffentlichen Personennahverkehr. Pferde- und Dampfeisenbahnen konnten die Auslastung nicht mehr bewältigen, und neue Technologien wurden gesucht.
1879 erregte die Firma Siemens große Aufmerksamkeit mit der ersten praxistauglichen Elektro-Lokomotive und der Vision einer elektrischen Eisenbahn über den Dächern Berlins. Diese Idee wurde zunächst belächelt und mit Misstrauen betrachtet. Fachleute bezweifelten die Machbarkeit; Bürger*innen forderten wiederum eine dekorative und künstlerische Bauweise der Bahnhöfe.
Dennoch setzte sich Siemens nach Jahren durch und begann 1896 mit dem Bau der Stammbahn, der heutigen Linie U1/U2. Mit der Eröffnung im Jahre 1902 wurde sie die erste elektrische Hoch- und Untergrundbahn des heutigen Deutschlands und galt als ingenieurtechnische Meisterleistung.
Der Bau und die Einweihung waren auch Motiv von Ansichtskarten, wie ein Exemplar aus der Sammlung Plewka zeigt. Mit den Datumsangaben und dem Verweis auf die erste elektrische Bahnanlage scheint die Ansichtskarte die Modernisierung positiv zu bestätigen; gleichzeitig ist unklar, ob die mitabgedruckte Angabe über die Baukosten von 36 Millionen Mark eine Kritik daran sein könnte.
Der Hochbahnhof Schlesisches Tor wurde nach den Stilvorstellungen der Zeit mit historisierenden Elementen in Architektur und Fassade gestaltet. Als wichtiger Ausgangspunkt für Spreefahrten sollte er besonders repräsentativ und einladend sein. Die Innenräume boten ein Café und ein Restaurant mit Kegelbahn für die Spreeausflügler*innen.
Im Deutschen Kaiserreich gab es nur wenige Orte, an denen Schwarze Menschen Alltagsberufe ausübten; die Anstellung eines Schwarzen Menschen wie Quane Martin Dibobe bei der Berliner Hoch- und Untergrundbahn war zu dem Zeitpunkt ungewöhnlich.
Dibobe, Sohn einer einflussreichen Familie in Kamerun, kam 1896 im Zuge der „Ersten Deutschen Kolonialausstellung“ nach Deutschland, welche zusammen mit der ersten Berliner Gewerbeausstellung im heutigen Treptower Park im selben Jahr eröffnet wurde. Er gehörte zu einer Gruppe von 106 Menschen vornehmlich aus deutschen kolonialisierten Regionen, die in einem inszenierten Dorf in der Art einer „Völkerschau“ als vermeintlich „Primitive“ diskriminierend vor einem Millionenpublikum zur Schau gestellt wurden. Nach der Ausstellung verblieb Dibobe – so wie etwa 18 weitere Personen – in Berlin, absolvierte eine Schlosserlehre und war ab 1902 bis etwa 1919 vor allem als Zugführer für die Berliner Hochbahn tätig. Darüber hinaus war er politisch aktiv. Nach dem Ende des Kaiserreiches reichte er mit 17 weiteren Personen aus Afrika 1919 eine 32-Punkte-Petition – die sog. Dibobe-Petition – bei der Weimarer Nationalversammlung ein, die eine Gleichstellung von Menschen in und aus deutschen Kolonien, ein Ende der kolonialen Gewalt und politische Beteiligung von Schwarzen Menschen in den Kolonien forderte. Kurz nachdem sie das Schreiben einreichten, trat der Versailler Vertrag in Kraft, nach dem Deutschland seine Mandate in kolonialisierten Regionen verlor. 1921 wollte Dibobe mit seiner Familie aus Deutschland nach Kamerun umziehen, doch die Einreise wurde ihm von der französischen Kolonialbehörde verwehrt. Vermutlich reiste die Familie nach Liberia, doch die Spuren verlieren sich und es sind keine weiteren Informationen über ihr Leben bekannt.
Es existieren noch heute ein paar Fotografien, die Dibobe als Mitglied der Verkehrsbetriebe zeigen. Die Ansichtskarte der Sammlung Plewka, auf der er zu sehen ist, deutet darauf hin, dass seine Präsenz eine gewisse Sensation bedeutete und die bürgerliche Schaulust befriedigen sollte.
Technische Innovationen hatten nicht nur großen Einfluss auf die Modernisierung von Produktionsstätten, sondern auch auf den Alltag der Menschen mit der Entstehung der Konsumgesellschaft und des Konzepts von Freizeit. Warenhäuser können dabei als ein Bereich gesehen werden, der in direktem Zusammenhang mit technischen Innovationen und der Entwicklung von Waren stand; diese luden nicht nur zum Kaufen und Konsumieren, sondern auch zum Flanieren und Schauen ein. Als viel frequentierte Orte in der Großstadt wurden sie gar zu „Kathedralen der Moderne“.
In den 1920er Jahren entwickelte sich der Hermannplatz zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt im Südosten Berlins und sollte nach den Anforderungen der wachsenden Stadt und Berufstätigen ausgerichtet werden. Die anstehende Umgestaltung des Hermannplatzes, der Bau des Untergrundbahnhofs und das geplante Warenhaus der Karstadt AG wurden von Anfang an gemeinsam entworfen und auch zeitgleich errichtet. Die Bahnhofsanlage unter dem Hermannplatz wurde dementsprechend durchdacht geplant, weitläufig gestaltet und bot moderne architektonische Lösungen wie eine unterirdische Verbindung zum Warenhaus sowie Rolltreppen zur Erleichterung des Umsteigeverkehrs. Als das Karstadt-Gebäude 1929 eröffnet wurde, war es das größte Warenhaus auf dem europäischen Kontinent.
In der Ansichtskartensammlung von Peter Plewka finden sich einige Motive, die die städtebauliche Modernisierung des Hermannplatzes ober- und unterirdisch darstellen. Es fällt auf, dass die abgebildeten Motive eine imposante Größe und Weitläufigkeit vermitteln, die im Kontrast zu den engen Mietskasernen des 19. Jahrhunderts der umliegenden Quartiere standen, in denen vorwiegend Arbeiter*innen lebten.
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