DER NATIONALSOZIALISMUS
IM KREUZBERGER ALLTAG

Ausgewählte Orte aus der Sammlung Peter Plewka
Ausgewählte Orte aus der Sammlung Peter Plewka

Der 10. März 1933 verdeutlichte in Kreuzberg drastisch das gewaltsame Ende der Demokratie: Zusammen mit weiteren Bezirksamtsmitgliedern und Bezirksverordneten wurde der jüdische Kreuzberger Bezirksbürgermeister Dr. Carl Herz von der SA (der sogenannten Sturmabteilung der Nationalsozialisten) gewaltsam vom Rathaus in der Yorckstraße bis zum Marheinekeplatz getrieben. Dieses brutale Ereignis markiert den Beginn der nationalsozialistischen Machtübertragung in Kreuzberg, die an den Terror und an die Gewalt der Nationalsozialisten zuvor anknüpfte.

Die Sammlung von Peter Plewka umfasst Ansichtskarten aus dieser Zeit, die einen Einblick in Kreuzberg im Nationalsozialismus bieten. Besonders auffällig sind Ansichtskarten, deren Bildseiten nationalsozialistische Symbole wie die Hakenkreuzflagge zeigen oder die mit Briefmarken mit dem Abbild Hitlers frankiert sind. Andere Karten zeigen Momentaufnahmen von Feierlichkeiten wie dem 1. Mai oder dem Volkstrauertag.

Der nationalsozialistische Terror jedoch bleibt auf diesen Ansichtskarten unsichtbar. Orte der Unterdrückung, Folter und Ermordung sind in der Sammlung Peter Plewka nicht zu finden. Ein Ort, der wie kaum ein anderer die Brutalität des NS-Regimes repräsentiert, ist das Reichssicherheitshauptamt – das Gestapo-Hauptquartier – in der Prinz-Albrecht-Straße 8. In der Sammlung sind lediglich Ansichtskarten aus der Zeit vor der Nutzung dieses Gebäudes durch die Nationalsozialisten vorhanden, als es noch eine Kunstgewerbeschule war.

Die Ansichtskarten bilden auf den ersten Blick wenig ab, was in Kreuzberg während des Nationalsozialismus und insbesondere hinsichtlich des Terror- und Gewaltregimes geschehen ist. Sie ermöglichen es jedoch, einzelne Aspekte aus der Zeit Kreuzbergs unter dem Hakenkreuz zu beleuchten und so auch zu zeigen, welche Bilder im propagandistischen Kontext dieser Zeit entstehen sollten.

Fahnen und Flaggen im Kreuzberger Straßenbild

Das Hakenkreuz war eines der wichtigsten und bis heute das wirkmächtigste Zeichen des Nationalsozialismus. Es befand sich auf vielen Fahnen und Flaggen und spielte eine herausragende Rolle für die Präsenz des Nationalsozialismus im Alltag. Die Hakenkreuzflagge wurde zu einem Symbol, das die rassistische, antisemitische und chauvinistische Politik und Praxis des Nationalsozialismus repräsentierte und Bestandteil der öffentlichen Propaganda im Alltag war. Die massenhafte Sichtbarkeit des Hakenkreuzes war damit auch eine Strategie, die Gesellschaft im Sinne einer rassistisch entworfenen Gemeinschaft zu konstituieren.

An öffentlichen Orten war die Hakenkreuzflagge stets präsent, ebenso bei Veranstaltungen und Paraden. Auch im privaten Bereich wurden Flaggen verwendet, um Loyalität und Sympathie mit der NS-Bewegung oder dem Regime zu zeigen. Besonders während nationaler Feiertage hissten viele Bürger*innen Flaggen an ihren Häusern.

In Propagandafilmen wurden oft Bilder von solchen Fahnenmeeren gezeigt, die bis heute meist unkritisch wiederverwendet werden.

Gneisenaustraße 55/56 behangen mit Flaggen, o. D., o. V., Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 1320.
Gneisenaustraße 55/56 behangen mit Flaggen, o. D., o. V., Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 1320.
„VIELFALT“ AN FLAGGEN

Diese Ansichtskarten zeigen ein Gebäude in der Gneisenaustraße 55/56 und das Lokal „Bayrische Almhütte“ in der Möckernstraße 147. Erst bei genauerem Hinschauen erkennt man die vielen Flaggen. Das Nebeneinander von schwarz-weiß-roter Kaiserreichsflagge und Hakenkreuzflagge deutet darauf hin, dass die Fotos zwischen 1933 und September 1935 aufgenommen wurde, da zu dieser Zeit beide Flaggen als Nationalflagge geführt wurden.

Restaurant „Bayrische Almhütte” in der Möckernstraße 147 geschmückt mit Flaggen, o. D., P. Güthe, Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 3260.
Restaurant „Bayrische Almhütte” in der Möckernstraße 147 geschmückt mit Flaggen, o. D., P. Güthe, Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 3260.
Häuser 19 bis 22 am Belle-Alliance-Platz (heute Mehringplatz) geschmückt mit Flaggen und Blattgirlanden, o. D., o. V., Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 3121.
Häuser 19 bis 22 am Belle-Alliance-Platz (heute Mehringplatz) geschmückt mit Flaggen und Blattgirlanden, o. D., o. V., Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 3121.
HAKENKREUZE AM BELLE-ALLIANCE-PLATZ (MEHRINGPLATZ)

Auf dieser Ansichtskarte sind die Fassaden der Häuser 19 bis 22 am Belle-Alliance-Platz (heute Mehringplatz) zu sehen. Die Blattgirlanden, die zusammen mit den Flaggen die Fassaden schmücken, verweisen auf einen Feiertag. Bemerkenswert ist zudem, dass die Karte an beiden Seiten geknickt ist und im mittleren Bereich die Hakenkreuze übermalt wurden. Wer dies getan hat und aus welchem Grund, ist nicht bekannt.

„Nazi-Bedarf nur hier“ – Die Zeugmeisterei-Ost in der Hedemannstraße 10

Die Hedemannstraße 10 war ein wichtiger Ort für die Nationalsozialisten in Berlin. Seit dem Ende der 1920er-Jahre, und gesichert ab dem 1. Januar 1929 mit der Ernennung des ersten Reichszeugmeisters in München, befand sich hier die Zeugmeisterei-Ost. Die Reichszeugmeisterei in München koordinierte alle Zeugmeistereien im Reich. SA-Mitglieder erhielten dort ihre Uniformen, Ausrüstungen und Werbematerial. Damit sollte eine einheitliche Ausstattung der SA sichergestellt werden. Eine große Vielzahl an Schneidereien und Handwerksbetrieben im ganzen Reich produzierte für die Zeugmeistereien.

Seit dem 1. Mai 1930 war die Hedemannstraße 10 auch der Sitz verschiedener NSDAP-Dienststellen für Berlin und Brandenburg und bis zum 5. April 1932 das Hauptquartier der SA-Gruppe Berlin-Brandenburg.

Besonders im Frühjahr und Sommer 1933 war die gesamte Hedemannstraße berüchtigt und wurde oft als „die Hedemannstraße“, „Nazi-Kaserne“ oder „SA-Zentrale Hedemannstraße“ bezeichnet. Im Haus Nummer 31 wurden Menschen kurzzeitig gefangen gehalten, gefoltert und ermordet. Solche Orte werden als „wilde“ Konzentrationslager bezeichnet. Sie dienten direkt nach der Machtübertragung der Einschüchterung und Ausschaltung von Oppositionellen.

SA-Zeugmeisterei-Ost in der Hedemannstraße 10, o. D., Kunstverlag Wiesebach, Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 1883.
SA-Zeugmeisterei-Ost in der Hedemannstraße 10, o. D., Kunstverlag Wiesebach, Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 1883.
DIE ZEUGEMEISTEREI-OST AUF DER ANSICHTSKARTE

Auf der Vorderseite der Ansichtskarte wird die Zeugmeisterei-Ost als „größte und älteste Zeugmeisterei der N.S.D.A.P.“ bezeichnet. Da die Reichszeugmeisterei in München die erste NS-Zeugmeistereien war, ist es denkbar, dass sich die Bezeichnung der Zeugmeisterei-Ost als „älteste“ auf ihre mögliche vorherige Funktion als „SA-Wirtschaftsstelle“ bezieht, die vergleichbare Aufgaben besaß.

Feierlichkeiten unterm Hakenkreuz – Der 1. Mai und der Volkstrauertag

Feierlichkeiten zielten während des Nationalsozialismus auf eine starke massenpsychologische Wirkung und waren meist hochgradig durchinszeniert. Nahezu alle Veranstaltungen wurden zu großen Zurschaustellungen der NSDAP und Propagierung einer völkisch imaginierten Gemeinschaft hochstilisiert, begleitet von Paraden, Weihestunden, Fackelzügen und Aufmärschen. Diese Ritualisierungen des politischen Lebens spielten eine wichtige Rolle beim Ausbau des totalitären Führerstaates in den Jahren 1933/34 und waren Teil der umfassenden Propaganda.

Der 1. Mai wurde im April 1933 zum „Tag der nationalen Arbeit“ erklärt. Bereits am Tag darauf – dem 2. Mai 1933 – wurden die Gewerkschaften enteignet. Riesige Festumzüge begleiteten diesen Tag und wurden jährlich wiederholt, um die Tradition dieses ursprünglich sozialistischen Feiertages aufzugreifen und die Arbeiter in die rassistisch konzipierte „Volksgemeinschaft“ einzubinden.

Die Nationalsozialisten übernahmen vor allem das Opfergedenken als Leitmotiv solcher Zeremonien und funktionierten es jedoch für ihre Zwecke um. So wandelten sie den Volkstrauertag 1935 in den „Heldengedenktag“ um. Dabei stand nicht mehr das Totengedenken, sondern die Heldenverehrung im Mittelpunkt – in diesem Fall das Gedenken der „Helden“ des Ersten Weltkrieges. Die Propagandawirkung dieses Tages wurde von den Nationalsozialisten so hoch eingeschätzt, dass sie entscheidende Schritte zur Kriegsvorbereitung wie die Remilitarisierung des Rheinlandes oder den „Anschluss“ Österreichs in unmittelbare Nähe zu diesem Tag legten.

NSBO während eines Marsches am 1. Mai vor dem Karstadtgebäude am Hermannplatz, 1. Mai 1933, o. V., Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 1952.
NSBO während eines Marsches am 1. Mai vor dem Karstadtgebäude am Hermannplatz, 1. Mai 1933, o. V., Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 1952.
Der 1. Mai 1933 auf der Ansichtskarte

Diese Ansichtskarte ist anscheinend eine Momentaufnahme eines Marschs der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) des Karstadt am Hermannplatz am 1. Mai 1933. Deutlich zu erkennen ist, dass die Mitglieder der NSBO – einem nationalsozialistischen Gegenmodell zu den freien Gewerkschaften – von SA-Männern angeleitet werden. Am 2. Mai besetzten sie zusammen mit SA und SS die Gewerkschaftshäuser.

Feier und Kranzniederlegung am Ehrenmal der Reichsdruckerei, 25. Februar 1934, o. V., Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 3651.
Feier und Kranzniederlegung am Ehrenmal der Reichsdruckerei, 25. Februar 1934, o. V., Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 3651.
DER „HELDENGEDENKTAG“ AUF DER ANSICHTSKARTE

Der Moment, der auf dieser Ansichtskarte zu sehen ist, spielte sich am 25. Februar 1934 ab – dem Volkstrauertag. Gezeigt wird eine Feier und Kranzniederlegung am Ehrenmal der Reichsdruckerei. Erst im folgenden Jahr wurde dieser Feiertag auch als Heldengedenktag begangen. Bemerkenswert ist, dass die Beschreibung auf der Vorderseite der Karte bereits vom Heldengedenktag spricht, möglicherweise wurde die Karte erst im folgenden Jahr produziert.

SA-Sturmlokale in Kreuzberg

Am 19. November 1922 wurde im Lokal „Zum Reichskanzler“ in der Yorckstraße 90 die erste Ortsgruppe der NSDAP in Berlin gegründet. Die Besitzer solcher Lokale, die auch als Verkehrslokale der Nationalsozialisten galten, sympathisierten meist mit der NSDAP oder waren selbst Parteimitglieder. Ab 1928 entstanden zudem zahlreiche „Sturmlokale“. Diese dienten einem „SA-Sturm“ (bestehend aus 72 bis 240 Mitgliedern) als Stützpunkt, von wo aus die Mitglieder beispielsweise zu Schlägereien mit politischen Gegnern aufbrachen oder Terror gegenüber Jüdinnen und Juden verübten. Die Lokale spielten eine zentrale Rolle in der Organisation und Mobilisierung der nationalsozialistischen Bewegung in Berlin.

In manchen Lokalen richtete sich die SA „nur“ in Vereins- und Hinterzimmern ein, während der normale Publikumsverkehr weiterlief. Es gab jedoch auch Sturmlokale, die ihren Charakter als öffentliche Orte fast vollständig aufgaben, wie das Lokal „Zur Hochburg“ des sogenannten Sturm 24 in der Gneisenaustraße 17.

Ein besonders berüchtigtes Sturm- und Verkehrslokal in Kreuzberg war das Restaurant „Wiener Garten“ in der Wienerstraße 10. Bereits im Februar 1930 beschmierte eine Stammtischgesellschaft dieses Lokals eine Stunde lang ungestört die Synagoge am Kottbusser Ufer, die heutige Synagoge Fraenkelufer.

Lokal „Zum Reichskanzler”, o. D, Arthur Redecker, Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 5287.
Lokal „Zum Reichskanzler”, o. D, Arthur Redecker, Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 5287.
EINBLICK IN DAS LOKAL „ ZUM REICHSKANZLER“

Die Ansichtskarte zeigt das Restaurant „Zum Reichskanzler“ und ist mit einem Poststempel vom 29. Februar 1930 versehen. Zu dieser Zeit war das Lokal bereits ein Verkehrslokal der NSDAP, was jedoch auf der Karte nicht ersichtlich ist.

Restaurant „Franz Zielich” (späteres Sturmlokal “Wiener Garten”), o. D., Zander & Labisch, Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 5016.
Restaurant „Franz Zielich” (späteres Sturmlokal “Wiener Garten”), o. D., Zander & Labisch, Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 5016.
EINBLICK IN DAS RESTAURANT
„FRANZ ZIELICH“/ „WIENER GARTEN“

Diese Ansichtskarte zeigt das Restaurant „Franz Zielich“ in der Wienerstraße 10. Franz Zielich war der Schankwirt dieses Lokals, das später in „Wiener Garten“ umbenannt wurde. Die Zeichnung von Kegeln auf der Karte deutet auf eine Kegelbahn hin. Diese wurde später während der Nutzung als Sturmlokal zu einer Versammlungshalle umgebaut.

Lokal „Berthold Redlich“ (späteres Sturmlokal „Zur Hochburg“), o. D., o. V., Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 1311.
Lokal „Berthold Redlich“ (späteres Sturmlokal „Zur Hochburg“), o. D., o. V., Sammlung Peter Plewka / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, 1311.
DIE GNEISENAUSTRASSE 17

Diese Ansichtskarte aus den Jahren 1923/24 zeigt ein Foto des Lokals „Berthold Redlich“ in der Gneisenaustraße 17, auf dem vermutlich der Besitzer und seine Frau zu sehen sind. Später befand sich an dieser Adresse das Sturmlokal „Zur Hochburg“, dessen Eingang von SA-Männern bewacht wurde.

Autor*in

Alexander Elspaß
Studiengang MA Public History

LITERATUR

Brücker, Eva: Wohnen und Leben in SO 36, zum Beispiel in der Wienerstraße 10-12. In: Engel, Helmut/Jersch-Wenzel, Stefi/Treue, Wilhelm (Hg.): Geschichtslandschaft Berlin. Orte und Ereignisse, Band 5: Kreuzberg. Berlin 1994. Nicolaische Verlagsbuchhandlung. S. 361-380.

Düspohl, Martin/Kreuzberg-Museum (Hg.): Kleine Kreuzberg-Geschichte. Berlin 2009. Berlin-Story-Verlag.

Fülberth, Johannes: »… wird mit Brachialgewalt durchgefochten«. Bewaffnete Konflikte mit Todesfolge vor Gericht, Berlin 1929 bis 1932/1933 (= Hochschulschriften, Bd. 87). Berlin 2012. PapyRossa Verlag.

Schuster, Martin: Die SA in der nationalsozialistischen »Machtergreifung« in Berlin und Brandenburg 1926–1934. Berlin 2004. Technische Universität Berlin.

Ueberhorst, Horst: Feste, Fahnen, Feiern. Die Bedeutung politischer Symbole und Rituale im Nationalsozialismus. In: Voigt, Rüdiger (Hg.): Politik der Symbole. Symbole der Politik. Opladen 1989. Leske u. Budrich. S. 157-178.

Verein zur Erforschung und Darstellung der Geschichte Kreuzbergs (Hg.): Kreuzberg 1933. Ein Bezirk erinnert sich. Berlin 1983. Ausstellungskatalog o. V.