KOMMUNISTISCHES
ARBEITER*INNENMILIEU
IN KREUZBERG
während der Weimarer Republik

Kreuzberg war in der Weimarer Republik geprägt von der Arbeiter*innenbewegung. Die SPD bekam bei Wahlen traditionell die meisten Stimmen – bis sie 1932 von der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) als stärkste Partei abgelöst wurde. Die KPD war um den Görlitzer Bahnhof herum verankert und der Kiez um den Lausitzer Platz trug im Volksmund den Namen „Klein Moskau“ als Anspielung auf die Stärke kommunistischer Positionen.

Die Arbeiter*innenbewegung hatte seit dem 19. Jahrhundert ein eigenes Milieu mit zahlreichen Treffpunkten entwickelt – sie waren ein wichtiger sozialer Raum, in dem Arbeiter*innen aus der Nachbarschaft zusammenkamen.

Es gab viele Kneipen – so genannte Verkehrslokale –, die neben dem Kneipenbetrieb auch als Treffpunkte der organisierten Arbeiter*innenbewegung und des mit ihr sympathisierenden Umfelds dienten. Eine große Rolle spielten auch Arbeiter*innensportvereine, wo die Mitglieder nicht nur gemeinsam Sport betrieben, sondern sich auch politisch und kulturell bildeten.

Proletarische Jugendliche, oft mit Anbindung an die Arbeiter*innenbewegung, schlossen sich
in „Wilden Cliquen“ zusammen. Sie lieferten sich Straßenschlachten mit der Sturmabteilung (SA), die in den späten 1920er Jahren auch in Kreuzberg stärker wurde. Die SA trieb als wichtigste Kampforganisation der Nazis die Eskalation durch Aufmärsche und gezielte Überfälle bewusst voran.

In der Sammlung Peter Plewka sind zwar nur wenig Abbildungen der kommunistischen Treffpunkte enthalten, doch die Ansichtskarten ermöglichen es, Spuren dieser Geschichte zu entdecken.

Verkehrslokale

„Ich bin zu Gustav Hellmuth immer gegangen, wenn ich Zeit hatte. Da habe ich dann, ohne viel Ahnung zu haben, erfahren vom Marxismus und so weiter.“


Zitat von Ilse Grubitz, die in der Weimarer Republik mit 17 Jahren einer kommunistischen Jugendgruppe angehörte. Das Verkehrslokal „Hellmuth“ war seit den 1920er Jahren ein bekannter kommunistischer Treffpunkt in der Görlitzer Str. 58.
Verkehrslokale, Kiezkneipen und Parteilokale, oft alle in einem vereint, spielten in den Arbeiter*innenstadtteilen eine bedeutende Rolle für SPD- und KPD-Mitglieder und andere Arbeiter*innen – auch um den schlechten und beengten Wohnverhältnissen zeitweise zu entkommen.
Wichtige kommunistische Lokale in Kreuzberg waren neben dem „Hellmuth” zum Beispiel „Lorenz” in der Nostitzstr., „Beckmann” in der Möckernstr. sowie „Wollschläger” in der Adalbertstr.
Aus einer Aufstellung der Polizei von 1932 geht hervor, dass es allein in Kreuzberg mindestens 17 solcher Verkehrslokale gab. Spätestens im Februar 1933 wurden diese Lokale mit der „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ der nationalsozialistischen Regierung geschlossen.

„Wollschläger“ war während der Weimarer Republik ein kommunistischer Treffpunkt. Im Februar 1933 distanzierte sich die Betreiberin gegenüber der Polizei von ihren ehemaligen kommunistischen Gästen. Um 1900, den Zeitpunkt der Aufnahme, war es in den Augen eines Besuchers ein „Versammlungsort der hier wohnenden Spießbürger“.

WOHNVERHÄLTNISSE

Katastrophale Wohnverhältnisse prägten den Bezirk. In Kreuzberg gab es viele sehr kleine Einzimmerwohnungen, in denen eine wachsende Anzahl von Arbeiter*innen leben musste. Die Wohnungsnot war Ende der 1920er-Jahre so groß, dass auch Dachböden und Keller bewohnt wurden – Hygieneprobleme, Krankheiten und eine hohe Kindersterblichkeit waren die Folgen. Verkehrslokale boten die Möglichkeit, den beengten Wohnverhältnissen zumindest zeitweise zu entfliehen.

Obwohl die Sammlung von Peter Plewka Ansichten der Arbeiter*innenquartiere umfasst, geben die Motive keinen Einblick in die tatsächlichen Wohnverhältnisse. Einige Ansichtskarten vermitteln einen Eindruck von der dichten Bebauung und der Wohnraumnot.

Arbeiter*innensportvereine

Am 7. April 1890 gründeten zwölf Jugendliche in Berlin-Friedrichshain den Turnverein Fichte Berlin. Er blieb zunächst verbandslos und entwickelte sich in der Weimarer Republik zum größten Verein der stark gewachsenen deutschen Arbeiter*innensportbewegung. Im Unterschied zu anderen Vereinen stand nicht die sportliche Konkurrenz im Vordergrund, sondern „die Erziehung des Jungproletariats zu gesunden, kräftigen, lebensfrohen, energischen Menschen“. In Kreuzberg wurde 1902 der schwerathletische Sport-Club Lurich 02 als Ableger von Fichte Berlin gegründet. Neben Sport gab es auch vielfältige kulturelle und politische Bildungsangebote.

Im Zuge der Auseinandersetzung zwischen SPD und KPD kam es 1928 zu Spaltungen in den Arbeiter*innensportvereinigungen. Während die meisten den sozialdemokratischen Weg einschlugen, dominierten bei Fichte Berlin die Kommunist*innen. Fichte Berlin war 1931 der größte aller deutschen Sportvereine. Nach dem Reichstagsbrand wurden am 28. Februar 1933 alle Arbeiter*innensportvereine durch die Nazis verboten.

„Wollschläger“ war während der Weimarer Republik ein kommunistischer Treffpunkt. Im Februar 1933 distanzierte sich die Betreiberin gegenüber der Polizei von ihren ehemaligen kommunistischen Gästen. Um 1900, den Zeitpunkt der Aufnahme, war es in den Augen eines Besuchers ein „Versammlungsort der hier wohnenden Spießbürger“.

„Wilde Cliquen“

In den 1920er Jahren gab es in Kreuzberg Dutzende selbstorganisierte Gruppen proletarischer Jugendlicher: die „Wilden Cliquen“. Ihre Mitglieder unterstützten sich unter den schwierigen Bedingungen von Massenarbeitslosigkeit und schlechten Wohnverhältnissen, machten gemeinsam Sport, unternahmen Ausflüge und diskutierten über Politik. Die meisten „Wilden Cliquen“ kamen aus der Arbeiter*innenjugendbewegung – waren jedoch antiautoritär organisiert. Häufig gab es Doppelmitgliedschaften mit kommunistischen Jugendgruppen, doch ohne Ambitionen, im kommunistischen Parteiapparat weiter aufzusteigen.

In Kreuzberg waren die „Edelhirsche” bekannt, die sich in der Lobeckstr. trafen und deren Motto „Wo wir Latscher sehen, da jibts Keile, und wo wir Nazis sehn, da jibts Kleinholz” gelautet haben soll. Mit „Latschern” waren bürgerliche Jugendgruppen gemeint. Die Wilde Clique „Lustig Blut” geriet oft mit Mitgliedern der Hitlerjugend (HJ) aneinander und wurde verdächtigt, an der Erschießung eines Mitglieds am Lausitzer Platz im Juli 1931 beteiligt gewesen zu sein. Die polizeilichen Ermittlungen gegen sie wurden letztendlich eingestellt, da sich beweisen ließ, dass die Jugendlichen nicht die Täter gewesen waren.

Kampf um die Straße

Die Arbeiter*innenbewegung führte den politischen Kampf auch auf der Straße. Mit dem Erstarken der Nationalsozialisten wurden die Auseinandersetzungen gewalttätiger. Die SA organisierte ab 1929 demonstrative, straff organisierte Aufmärsche in Kreuzberg und hatte dort nun auch eigene Kneipen – sogenannte Sturmlokale. Die Konfrontationen zwischen Anhänger*innen der Arbeiter*innenbewegung und Nazis spitzten sich zu. Regelmäßig kam es zu Überfällen, sogar mit Toten wie dem jungen Kommunisten Walter Neumann, der am 29. Dezember 1929 vor dem Verkehrslokal „Hellmuth“ von SA-Mitgliedern erschossen wurde.

In Berlin gab es den ersten Toten bei einer Auseinandersetzung zwischen Antifaschist*innen und Nazis am 21. November 1928: Der unbeteiligte, wenn auch der KPD nahestehende Arbeiter Artur Kreisch wurde angeschossen und verstarb kurz darauf. Auf den Bildansichten in der Sammlung Plewka ist die Straßenkreuzung Wassertorstr. Ecke Alexandrinenstr. zu sehen, an der die Auseinandersetzung stattfand; allerdings wurde das Motiv viele Jahre vor dem Ereignis aufgenommen.

STURMLOKALE DER SA

Ende der 1920er Jahre entstanden Sturmlokale der SA. Eines der bedeutendsten in Kreuzberg befand sich in der Wiener Str. 10 – der „Wiener Garten“. Hier traf sich der besonders gewalttätige SA-Sturm 27. Von diesem Lokal ging am 29. Dezember 1929 ein Angriff auf das kommunistische Verkehrslokal „Hellmuth” aus, bei dem der junge Kommunist Walter Neumann starb.
Ab 1933 steigerte sich der Terror. Der „Wiener Garten“ wurde eines der frühen „wilden KZs“, in dem Bewohner*innen des Viertels festgehalten und gefoltert wurden.

Autor*in

Joahnnes Fülberth
Jana König
Fabian Kunow